öffnen – gestalten – begleiten: Sonderpädagogik in Bayern Landesdelegiertenversammlung in Landshut
Vom 03.-04. Mai 2024 fand die Landesdelegiertenversammlung des vds Landesverbands Bayern statt. Mehr als 50 delegierte, stimmberechtigte Mitglieder und zusätzliche Gastdelegierte aus den bayerischen Bezirken des Landesverbandes trafen sich auf Einladung des Bezirksverbands Niederbayern in Landshut, um sich mit aktuellen Fragestellungen aus dem Bildungsbereich und speziell dem sonderpädagogischen Umfeld auseinanderzusetzen und die Leitlinien der Verbandsarbeit für die nächsten zwei Jahre festzulegen.Zunächst standen aber am Freitag die Eröffnungsveranstaltung mit Ehrengästen mit dem Festvortrag von Professor Dr. Wolfgang Dworschak (Universität Regensburg) mit anschließendem Stehempfang auf dem Programm.
Der niederbayerische Bezirksvorsitzende Markus Uhrmann begrüßte zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Schulverwaltung, Stadt und Landkreis Landshut, aus befreundeten Lehrkräfteverbänden sowie verdiente Mitglieder des vds, darunter die ehemalige Landesvorsitzende Dr. Rita Völker-Zeitler und den ehemaligen Bundesvorsitzenden Stefan Prändl. Der Oberbürgermeister der Stadt Landshut Alexander Putz hieß die Gäste und Delegierten persönlich willkommen. Die bayerische Staatsministerin für Unterricht und Kultus Frau Anna Stolz betonte in ihrer Rede die Bedeutung des vds Landesverbands Bayern als wichtigen und verlässlichen Ansprechpartner im Bereich der Sonderpädagogik. Sie nehme dankbar das herausragende Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Förderschulen wahr. Die Ministerin wandte sich deutlich gegen tendenzielle Strömungen im gesellschaftspolitischen Umfeld, bei denen Inklusion abgelehnt und als Hindernis diffamiert wird. Inklusion ist eine Haltung und muss in die Ausbildung aller Lehrämter Eingang finden. Förderzentren und Förderschulen werden gebraucht, um Inklusion weiter voranzubringen. Dazu ist es notwendig Netzwerke zu knüpfen. Um die Arbeit der Lehrkräfte zu entlasten, sollen Stellen für pädagogische Unterstützungskräfte
geschaffen und Bürokratie abgebaut werden (s. dazu auch Pressemeldung des Kultusministeriums im Anschluss an diesen Bericht).
Erfreut wurde von den Delegierten des vds Landesverbands Bayern vermerkt, dass sich die Ministerien auch nach Abschluss der Festveranstaltung noch Zeit für Gespräche nahm. Ministerialrat Klaus Gößl würdigte in einer kurzen Ansprache die Verdienste des Landesvorsitzenden Hans Lohmüller. Er hob dessen fachliche Kompetenz und Bereitschaft hervor, auch bei Meinungsunterschieden konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Das Thema des Festvortrags, das Professor Dr. Wolfgang Dworschak, Leiter des Lehrstuhls für Pädagogik bei geistiger Behinderung einschließlich inklusiver Pädagogik der Universität Regensburg, bearbeitete, klang auf den ersten Blick recht sperrig: „Kategorie ‚sonderpädagogischer Förderbedarf‘ – Irritationen und Impulse zur Selbstvergewisserung“. Es ist hier nicht der Ort, ausführlicher auf die Ausführungen Professor Dworschaks einzugehen; sie lassen sich hoffentlich in einer zeitnahen Veröffentlichung nachlesen, um den Gedankengängen intensiver nachzuspüren. Nur so viel dazu: Festzustellen ist eine bundesweite Steigerung der Anzahl von Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf. Jedoch ist die Steigerungsrate zwischen den Bundesländern unterschiedlich. Kann es an der unterschiedlichen Definition „sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf“ bzw. an unterschiedlichen Feststellungsverfahren liegen? Dazu referierte Prof. Dworschak den aktuellen Forschungsstand sowie über die Entwicklung von Standards für die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs.
Landesvorsitzender Hans Lohmüller ging in seiner Eröffnungsrede einerseits auf die bekannten und drängenden Probleme im Bildungssystem ein, wie Mangel an Lehrkräften und zusätzlichen pädagogischem Personal, Belastungssituation im Schulalltag durch Überbürokratisierung, Trägheit bei der Umsetzung inklusiver schulischer Förderung usw., wies aber auch auf Erfolge des Landesverbandes hin, z. B. Weiterführung der Förderung der Berufseinstiegsbegleitung, Stärkung der Prävention in SVE und Pädagogischer Frühförderung, Anregung und Unterstützung der Schulversuche „Inklusive Region“ und „Kooperative Schulleitung“. Wenngleich hier die Unterstützung und Umsetzung der Modellversuche des Kultusministeriums auch zusammen mit der Stiftung Bildungspakt Bayern anzuerkennen sind, fordert der vds Landesverband Bayern, dass die Umsetzung der Erkenntnisse und die Zuweisung der notwendigen Ressourcen an allen Förderschulen und Förderzentren erfolgt. Dies gilt vor allen auch für die Aufnahme von Förderschulen in des Startchancen-Programm, bei dem bisher noch keine bayerischen Förderschule vom Land Bayern berücksichtigt wurde. Hans Lohmüller zeigte sich besorgt über die Gefährdung der Demokratie und vor allem die Gefährdung der Rechte von Menschen mit Behinderung durch gesellschaftliche und parteipolitische Gruppierung. In seiner Regensburger Erklärung setzt sich der vds sich für Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz und Meinungsfreiheit ein: „Inklusion ist Voraussetzung für demokratisches Handeln, gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation aller Menschen, die Anerkennung eines jeden Individuums mit seiner Einzigartigkeit und die Förderung der Selbstwirksamkeit. Die Heterogenität der Menschen ist Ressource und Bereicherung der Gesellschaft.“ Der vds bleibt dabei ein unverzichtbarer und verlässlicher Partner.
Fulminant und semiprofessionell wurde die Festversammlung umrahmt vom Chor und der Lehrkräfte-Musikgruppe der Sonderpädagogischen Förderzentren Landshut-Land und Landshut-Stadt. „Standing Ovation“ und Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Festversammlung nach Zugaben waren der verdiente Lohn der jungen Künstlerinnen und Künstler.
Zur Vorbereitung der Plenumssitzung am Samstag konnten die Delegierten nach dem Stehempfang in drei Diskussionsforen die an die LDV gestellten Anträge vorklären:
(1) Sonderpädagogische Arbeitsfelder / Schulmanagement, (2) Aus-, Fort- und Weiterbildung / Personalgewinnung, (3) SVE / Frühförderung.
Zu Beginn der ordentlichen Landesdelegiertenversammlung waren zunächst die „Intros“ einer ordentlichen Verbandsversammlung abzuarbeiten: Feststellung der Beschlussfähigkeit, Entgegennahme der Berichte des Vorstands, der Bezirksvorsitzenden und der Referentinnen und Referenten. Kassenführerin Gudrun Reuter und ihre Stellvertreterin Elke Drechsler überzeugten durch eine eindrucksvolle und übersichtliche Darstellung der Haushaltslage, dessen Stimmigkeit durch das Votum der Kassenprüferinnen Monika Boger und Karin Pleyer bestätigt wurde. So konnten die Kassenführerinnen und der Landesvorstand entlastet werden. Trauriger Teil der Agenda: Gedächtnis und Ehrung der Verstorbenen, stellvertretend seien hier der langjährige Referent für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung Gerhard Zeitler und Ehrenmitglied Professor Dr. Speck genannt.
In media res: In regem Meinungsaustausch wurden auf dem Hintergrund der eingereichten Anträge aktuelle und drängende Probleme in Bereichen sonderpädagogischer Förderung benannt und um Lösungen gerungen. Immer ging es darum, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern auch darum wo kann sich der Verband mit seiner fachlichen Expertise einbringen. Eine Auswahl der bearbeiteten und meist lebendig diskutierten Themenbereiche der Landesversammlung:
Vorangestellt der Leitantrag: Bereits in seiner Eröffnungsansprache hatte der scheidende Landesvorsitzende Hans Lohmüller auf die Gefährdung inklusiver Prozesse und der Rechte behinderter Mensch hingewiesen. Der Leitantrag der Landesdelegiertenversammlung nahm diesen Impuls auf: So fordern die Delegierten einstimmig die Vertreter der demokratischen Parteien, der Lehrerverbände, der Schulverwaltung und der Schulträger auf „ausgehend von der ´Regensburger Erklärung` des vds auf allen bildungspolitischen und fachlichen Ebenen den Anspruch auf inklusive Bildung und Teilhabe als nicht verhandelbares Menschenrecht gewährleisten, die Teilhabechancen der Betroffenen zu stärken und allen politischen Bestrebungen zur Einschränkung des Wahlrechts auf gemeinsamen Unterricht entgegenzutreten“. In vielen Anträgen wurde deutlich, dass die Mitglieder des Verbandes vor allem Sorge tragen um die fachliche Qualität bei der Ausbildung von Lehr- und pädagogischen Fachkräften sowie der Gewinnung von Lehr- und pädagogischem Fachpersonal.
Wie gelingt es, das Studium für das Lehramt attraktiver zu gestalten und dafür Nachwuchskräfte zu gewinnen? Welche Unterstützungsmaßnahmen, z.B. in Form von Fort- und Weiterbildung und/oder Anerkennung, sind notwendig, um aktive Lehrkräfte und sonstiges Personal an den Förderzentren „in Form“ zu halten und notwendiges Rüstzeug für ihre Arbeit zu liefern? Sonderpädagogische Fördereinrichtungen aller Förderbereiche stoßen an ihre Kapazitätsgrenze, Schülerinnen und Schüler werden von allgemeinen Schulen als nicht mehr tragbar eingestuft – der vds sieht das Recht auf Bildung für einen Teil der Schülerschaft gefährdet. Wie ist die Situation von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinen Schulen; können sonderpädagogische Dienste effektiv zum Wohle dieser Personengruppe arbeiten oder sind sie (nur) Notnagel? Inklusion kommt nicht in Schwung, die Schülerschaft an Förderzentren steigt. Unterstützung durch soziale Dienste (Jugendsozial- bzw. Schulsozialarbeit), Qualifizierung von weiterem Personal, das in sonderpädagogischen Einrichtungen tätig ist – z. B. heilpädagogische Unterrichtshilfen – sind notwendige Voraussetzungen, um erfolgreich Präventionsarbeit und schulische Förderung zu leisten.
Einzurichtende Arbeitsgruppen sollen dazu Vorschläge und Konzepte erarbeiten, um mit Vertreterinnen von Ausbildungsstätten, aus dem Kultusministerium und mit politisch Verantwortlichen für einen fachlichen Diskurs zu wappnen.
Nachdrücklich sicherte der neue Landesvorsitzende Matthias Krämer zu, dass sich der vds Landesverband Bayern weiterhin engagiert im politischen und gesellschaftlichen Umfeld sowie bei den zuständigen Staatsministerien und Personen der Schuladministration einsetzt, um die Qualität sonderpädagogischer Förderung an allen Orten zu sichern, wo Kinder und Jugendliche ihrer Unterstützung bedürfen.
Umsichtig und präzise führte Wolfgang Braun zwischen den Antragsdiskussionen durch den Wahlmarathon, der satzungsmäßig vorgegeben und durch den Rücktritt einiger Referentinnen und Referenten notwendig war. Die Ergebnisse sind im Impressum der nächsten Ausgabe der „spuren“ 03.2024 nachzulesen bzw. auf der homepage des Landesverbandes ( https://www.vds-bayern.de/)
nachzulesen. Als neuer Landesvorsitzende wird Matthias Krämer (Unterfranken) dem bayerischen Landesverband vorstehen. Zusammen mit der neu gewählten Stellvertreterin Gudrun Reuther wollen die beiden neu Gewählten als Team, quasi als Doppelspitze, führen. Hans Lohmüller, der bisherige Landesvorsitzende, übernimmt von Manfred Pschibul den Bereich Öffentlichkeitsarbeit.
„Schön war die Zeit …“ – so im gecoverten Song des neu gegründeten Chors des bayerischen Landesverband - hieß es für Manfred Pschibul, dem langjährigen Mitglied im Vorstand des Landesverbandes, und weitere Funktionsträgerinnen und -träger, die bewegend und fulminant verabschiedet wurden.
Großer und herzlicher Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirks Niederbayern und dem Landesgeschäftsführer Dieter Boldt für die Vorbereitung und den reibungslosen Ablauf der Landesdelegiertenversammlung. „Wirklich eine tolle LDV! Fachlich versiert und zwischenmenschlich einfach fantastisch!“ – so die Reaktionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Bis zum „Grüß Gott 2026“ in Unterfranken!
Bericht: Manfred Pschibul
veröffentlicht am 01.06.2024 zum News-Archiv